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/ #15402013-12-27 17:17Neue Zuercher Zeitung 24. Dezember 2013 «Es gibt genügend Alternativen zum Fleisch» Der Philosoph Markus Wild fordert negative Grundrechte für Tiere Markus Wild, Philosoph an der Universität Basel, kritisiert unseren Umgang mit empfindungsfähigen Tieren. Diese hätten einen Anspruch darauf, nicht getötet zu werden. Herr Wild, vor kurzem verendeten im Tropenhaus Frutigen rund 20 000 Jungfische. Dies rief keinerlei Entrüstung hervor. Wäre Ähnliches mit Kälbern passiert, wäre die Öffentlichkeit empört gewesen. Haben wir kein Mitleid mit Fischen? Es fällt uns schwerer, mit Fischen Mitleid zu haben, weil sie weiter von uns entfernt sind. Wie die Forschung zeigt, haben wir aber zu Unrecht das Gefühl, Fische seien ganz anders als wir. Auch sie verfügen über ein Schmerzempfinden. Sie kommen bei uns aber meistens als Industrieprodukt und in der Masse vor. Sobald wir in der Lage sind, uns Fische als Einzellebewesen vorzustellen, können wir Mitleid mit ihnen haben. Sie kritisieren das Angeln als Hobby: Es bedeute, dass einem Tier zum Zeitvertreib Schmerzen zugefügt würden. Ist es nicht besser, einen Fisch fachgerecht zu angeln, als einen unter fragwürdiger Weise gefangenen Meerfisch zu kaufen? Hobbyfischer und Hochseefischer töten Fische und fügen einem empfindungsfähigen Tier Schmerzen zu. Hier besteht kein Unterschied. Schaut man sich aber die Arten an, wie Fische getötet werden, dann ist das fachgerechte Angeln besser als die Hochseefischerei. Beim Angeln gehe ich mit dem Einzellebewesen um: Ich kann es rasch und fachgerecht zu Tode bringen. Die Hochseefischerei hingegen hat es mit der Masse zu tun, die sie verenden lässt. Auch sind die tierschützerischen Regulierungen für die Angelfischerei viel besser. Fischen und Jagen sind noch die letzten Möglichkeiten für uns, nahe mit der Natur in Berührung zu kommen. Das Gefühl, auf der Jagd zu sein, bereitet Lust - was ich nachvollziehen kann. Zudem spricht das Draussen-in-der-Natur-Sein etwas Ganzheitliches an. Doch ich verstehe nicht, wieso man diese Gefühle nicht haben kann, ohne dass etwas zu Schaden kommt. Man kann zum Beispiel mit Kindern in der Nacht mit der Fotokamera Fledermäuse «jagen», um dieselben Gefühle zu befriedigen. Dabei kommt kein Lebewesen zu Schaden. Das Schweizer Recht spricht - weltweit einzigartig - von der Würde der Kreatur. Das tönt sehr metaphysisch. Man könnte sagen, die Würde der Tiere - um sie einmal auf Tiere zu beschränken - entspricht den Bestimmungen im Tierschutzgesetz: Man soll unnötiges Leid, Schmerzen und Angst vermeiden und für das Tierwohl sorgen. Das ist aber zu wenig. Um die Würde der Tiere zu gewährleisten, kommen Aspekte hinzu, die über das Gesetz hinausführen. So soll man nicht ins äussere Erscheinungsbild eingreifen, indem man etwa einen Fisch neonfarbig einfärbt. Zudem soll man das Tier nicht unwürdig behandeln und vermenschlichen. Hunden, die in der Stadt leben, die Stimmbänder herausoperieren, damit ihr Bellen nicht stört, verletzt ihre Würde. Dasselbe gilt für die übermässige Instrumentalisierung eines Tieres. Ein Tier gentechnisch so zu manipulieren, dass es möglichst rasch Fleisch liefert, verstösst gegen seine Würde. Nähme man die Würde der Kreatur ernst, dann wäre unser Umgang mit Tieren grundsätzlich infrage gestellt. Dies wäre dann der Fall, wenn man die Würde der Kreatur ähnlich verstünde wie die Menschenwürde. Dann ginge es nicht nur um die übermässige, sondern um die Instrumentalisierung überhaupt. Wir interpretieren die Würde der Kreatur aber so, dass gewisse Instrumentalisierungen in Ordnung sind. Eine Tötung, die sachgemäss und ohne Leid durchgeführt wird, verletzt die Würde der Kreatur, wie sie heute rechtlich verstanden wird, nicht. Legt man Würde strikt aus, was ich für richtig halte, dann wären solche Tötungen nicht mehr dadurch zu rechtfertigen, dass sie uns nützen. Allerdings erachte ich selbst dann Hausgenossenschaften mit Tieren oder die Nutzung von Schafwolle usw. als unproblematisch. Zwar ist die Würde des Tieres geschützt, aber nicht dessen Recht auf Leben. Das ist ein Widerspruch. Viele Menschen teilen folgende Intuition: Es hat etwas Falsches, einem empfindungsfähigen Lebewesen Schmerzen zuzufügen, ohne dass es zum Wohl des Lebewesens ist oder aus Notwehr geschieht. Gleichzeitig finden es viele in Ordnung, ein Tier schmerzfrei zu töten, da es ja nicht leiden muss. Ich denke aber, dass wir dem Tier mit der Tötung einen Schaden zufügen: Wir nehmen ihm das Leben. Wenn wir davon ausgehen, dass wir empfindungsfähigen Lebewesen keinen Schaden zufügen sollen, dann haben Tiere auch einen Anspruch darauf, nicht getötet zu werden. Ich denke daher an so etwas wie negative Grundrechte für Tiere: Man darf sie weder quälen noch einsperren oder töten, ausser es liegen sehr gute Gründe vor. Das «Great Ape Project» kämpft bereits dafür, dass Menschenaffen grundlegende Rechte eingeräumt werden. Dem kann ich etwas abgewinnen. Aber man muss aufpassen, dass man die Grundrechte für Menschenaffen nicht mit den Menschenrechten verwechselt. Die Machtverhältnisse werden immer so sein, dass die Tiere das Zwei auf dem Rücken haben. Wenn wir ihnen Menschenrechte einräumen, dann stellt man die Geltung der Menschenrechte infrage und macht sie verhandelbar. Daher sollten Tierrechte als eine spezifische Form von Rechten betrachtet werden. Ein Folterverbot für Tiere ergibt keinen Sinn, da wir ein Tier zwar quälen, aber nicht foltern können, weil unter Folterung eher eine Massnahme des Staates zum Bezug von Informationen verstanden wird. Wem gehören die Tiere? Uns? Oder gehören sie sich selbst? Ich habe Mühe mit der Vorstellung, dass Tiere Eigentum an sich selber haben. Ich ziehe eine negative Formulierung vor: Tiere sind nicht dasselbe wie Sachen, weshalb sie nicht Eigentum sein sollten. Die Tendenz, so zu denken, findet man im Schweizer Recht. Wir können uns die Beziehung zu Tieren anders als über den Eigentumsbegriff vorstellen. Wir können gegenüber Haustieren eine Art Garantenstellung einnehmen. Ich bin für eine Katze verantwortlich, auch wenn sie nicht mein Eigentum ist - analog zu einem Eltern-Kind-Verhältnis. Niemandem käme es in den Sinn, ein Kleinkind als Eigentum zu betrachten, weil wir für es zuständig sind. Tiere werden für verschiedenste Zwecke instrumentalisiert. Schauen wir ein paar Beispiele an. Darf man Tiere für die medizinische Forschung verwenden? Ein heikles Thema. Hier muss man drei Fragen stellen. Erstens scheint es, dass für viele Tierversuche Alternativmöglichkeiten vorhanden sind. Diese sollte man ausprobieren. Wir sollten zweitens untersuchen, ob Tierversuche etwa für Krebstherapien wirklich so erfolgreich waren, wie uns immer gesagt wird. Was ist an der Behauptung, Tierversuche seien für die Entwicklung von Therapien unersetzbar, rhetorisch, und was trifft tatsächlich zu? Drittens gibt es bei einigen Krankheiten Faktoren, die wir selber im Griff haben, wie beim Lungenkrebs. Wieso sollen wir mit Tierversuchen Therapien entwickeln, wenn wir durch die Regulation unserer eigenen Gesundheit der Krankheit vorbeugen können? Wie steht es mit Wildtieren im Zirkus? Das geht nicht. In einem Zirkus kann man einem Wildtier nicht bieten, was es als Lebensraum benötigt. Der Zirkus ist aber ein kulturelles Gut - und die Kinder haben Spass daran. Ja, aber es gibt auch Zirkusse ohne Tiere, und es gibt Alternativen, die kulturell interessant sind und Kindern Spass machen. Darf man Hunde als Blindenführer einsetzen? Das finde ich unproblematisch. Mensch und Hund haben eine enge Koevolution durchlaufen. Hunde sind keine Wölfe, sondern eine eigene Art, die sozial stark auf uns angewiesen ist. Beziehungen zwischen Mensch und Hund können sehr tief sein und Beziehungen zwischen Hunden untereinander ersetzen. Darf man Fleisch essen? Wenn man wie ich davon ausgeht, dass man empfindungsfähigen Tieren mit dem Töten einen Schaden zufügt, dann darf man kein Fleisch essen. Ich würde aber Insekten essen, da ich davon ausgehe, dass sie keine empfindungsfähigen Lebewesen sind. Was mir wichtig ist: Das ist kein universelles Gebot. Ich will weder die Inuit aus Kanada vertreiben, noch den Menschen in Tansania verbieten zu fischen. Es kommt darauf an, ob es Alternativen gibt. Wir im Westen verbrauchen das meiste Fleisch, aber wir hätten auch genügend Alternativen zum Fleisch - auch in der Schweiz. Menschen mögen keine Essensverbote. Ein Ethiker verbietet den Menschen nicht, Fleisch zu essen. Ethik funktioniert nicht über Verbote, sondern über Argumente: Ist man ein rationales Wesen, dann auferlegt man sich ein bestimmtes Verhalten selber, weil man die Gründe dafür einsieht. Eine sinnvolle Massnahme wäre, das Wort «Vegetarismus» aus der Welt zu schaffen. Oft wurde ich gefragt, ob ich Vegetarier sei, worauf ich antwortete: Nein, aber ich esse kein Fleisch. Das ist zwar dasselbe, aber der Vegetarismus ist konnotiert mit Beschreibungen wie schwächlich und unmännlich. Wenn man im Restaurant das fleischlose Essen mit «Menu 3» statt mit «Vegi-Hit» bezeichnet, wird es öfter gewählt - vor allem von Männern. Kein Fleisch zu essen, muss schlicht normaler werden. Interview: Markus Hofmann |
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